Bild links: mein Zuhause am Rio Negro im Amazonas-Gebiet.
Bild rechts: "Buschmeister", hochgiftige Schlange.
Es ist anfangs der Neunzigerjahre des vorangegangenen Jahrhunderts. Im Amazonas-Gebiet hat der Frühling begonnen, und die Flora erblüht in einer Pracht, wie sie nur in einem subtropischen Gebiet gefunden werden kann.
Vom Dreiländereck (Argentinien-Brasilien-Paraguay) Iguaçu herkommend, bin ich nach langem Flug in der Urwaldstadt Manaus gelandet. Dort nehme ich vorerst Quartier im prächtigen Hotel "Tropical", das mit seinen unzähligen Springbrunnen - sogar in den Korridors - zu einem der schönsten dieser Art gehört. Sogar ein eigener Zoo mit vielen Tieren aus der Amazonasgegend ist dem Prachtsbau angegliedert.
An einem frühen Morgen schiffe ich mich auf einem Bananenboot ein, und alsbald tuckern wir den Rio Negro hinauf, ungewissen Abenteuern entgegen. Die Zivilisation ist längst hinter uns, als es heisst, in kleinere Boote umzusteigen, damit man auf den engen Nebenarmen und zwischen den riesigen Baumstämmen der überfluteten Regewälder ungehindert vorankommt.
Ich probiere gerade eine kleine Gruppe buntfarbiger Papageien zu filmen, als plötzlich das Wasser hoch aufspritzt und die Mitfahrer richtiggehend duscht. Während die einheimischen Bootsführer schelmisch lächeln, schauen die Touristen erschrocken einem meterlangen Alligator nach, der sich von einem tief hängenden Ast ins Wasser hat plumpsen lassen.
Nach weiteren ähnlichen Vorkommnissen erreichen wir nach langer Reise das "Amazon Village". Dieses besteht aus 14 strohbedeckten kleinen Bungalows und einer Bar mit Küche. Wohlverstanden, das mitten im tropischen Urwald.
Der Oberjehu händigt mir den Schlüssel für das Hüttchen Nr. 9 aus, und erwartungsvoll mache ich mich auf die Suche, vollgepackt mit den üblichen Utensilien. Unterwegs bestaune ich die bunte Vogelwelt und stelle zwischendurch fest, dass in dieser einsamen Gegend offenbar auch Hauskatzen gehalten werden. Mindestens ein halbes Dutzeend hellgrauer Tigerli begegnen mir.
Mein Zuhause finde ich bald einmal, und überwältigt von den neuen Eindrücken setze ich mich erst einmal auf die Holztreppe, die zu einer kleinen Vorlaube führt. Schon flattert es, und gebannt verfolge ich, wie ein prächtiger grüner Papagei mit rotem Häubchen sich auf einem der Stützbalken der Hütte niederlässt. Lauthals fängt er plötzlich an zu krächzen und schlägt heftig mit den Flügeln. Dabei bemerke ich den Störenfried auch, wobei ich ein leises Lächeln nicht unterdrücken kann. Was mir eitel Freude bereitet, scheint den bunten Vogel aber mächtig aufzuregen.
Einer rotgelben Eidechse nachjagend, rast ein junges Tigerli den Weg in meine Richtung hinunter, und stellt dann verblüfft fest, dass das flinke Echslein unauffindbar im dichten Laub verschwunden ist. Aber nun errege ich Büsis Aufmerksamkeit. Den Schwanz bolzengerade aufgestellt, kommt es mir schnurrend entgegen. Ganz offensichtlich ist es an fremde Menschen gewöhnt und erfhofft sich sicher noch etwas Essbares. Mir kommt ein kleines Büchslein Sardinen in den Sinn, und bald einmal kann sich meine neue Freundin daran gütlich tun. Nach dem obligaten Maulschlecken fällt mir auf, wie aufmerksam die kleine Jägerin ist. Offenbar ist sie von ihrer Mutter schon recht gut in das Beutefangen eingeführt worden.
Unverhofft macht sie einen Riesenbuckel und fängt an zu fauchen. Interessiert schaue ich in die gleiche Richtung und werde dabei sicher ein wenig bleich. Unter der Laube entdecke nämlich auch ich eine gut zwei Meter lange Schlange, die dort zusammengerollt liegt und bereits nervös züngelt.
Ein grosser Bogen um das Reptil schlagend, mache ich mich auf zur Bar, um das Gesehene einem Koch zu erzählen. Im Nachhinein bin ich aber reuig, denn der zaudert nicht lange und schlägt der unbeliebten Anwohnerin kurzerhand und geschickt mit einem grossen Buschmesser den Kopf ab. Dabei gibt mir der sprachbegabte Kochkünstler zu verstehen, dieses Biest sei hochgiftig und sei hier eigentlich eher selten.
Seine Aussagen bestätigen sich beim Nachschlagen in einem Erkennungsbuch, das ich bei solchen Exkursionen immer bei mir trage. Auf Deutsch heisst sie "Buschmeiser", und ist wirklich sehr gefährlich. Von der Grösse her hat sie überlange Giftzähne, die bei einem Biss tief in die Muskeln hineinfahren, wo der todbringende Saft nicht mehr abgesaugt werden kann und sich langsam im ganzen Körper verteilt, was in der Regel zum Tod führt.
Am Abend nach einem reichhaltigen Buffet machen sich die anwesenden Gäste untereinander erst so richtig bekannt. Dabei werden zwei junge deutsche Ärztinnen aus Ulm etwas käsig, als ich von dem kürzlichen Zusammentreffen mit der Schlange erzähle. Auch andere spitzen die Ohren und fragen sich möglichrweise, ob sie auch wirklich am richtigen Ort wären. Dessen ungeachtet sitzt man aber bis weit in die Nacht hinein an der Open-air-Bar und plant kommende Taten für den nächsten Tag.
Aber so gegen Mitternacht erhebt sich auch der Letzte und geht mit einer Taschenlampe, die jedem Gast mangels Elektrizität ausgehändigt worden ist, auf die Suche nach seinem Gelieger.
Und wer sitzt da bei meinem Eintreffen schon vor der Tür? Richtig, mein Tigerli. Irgendwie habe ich schon während der Grill-Party gehofft, der Kleinen nochmals zu begegnen. In weiser Voraussicht habe ich etwas vom Bratgut in eine Papierserviette verpackt und mitgenommen. Als ob sie das wisse, stellt sie sich an meinen Hosenbeinen hoch und fängt richtiggehend an zu betteln. Vielleicht sticht ihr auch der verführerische Duft in die Nase.
Die Tür knarrt etwas, als ich in die "gute Stube" eintrete und feststellen muss, dass das flinke Geschöpf zwischen meinen Beinen hindurch den Raum schon vor mir betreten hat.
Zufrieden über den ganzen Tag zünde ich eine Kerze an, verschwinde zwecks Körperpflege in einen anderen Raum und staune über den relativ grossen Konfort.
Bei meiner Rückkehr sitzt die Katze auf meinem Bett und macht keine Anstalten, mein Logis in nächster Zeit verlassen zu wollen. Währenddem ich bei flackerndem Kerzenlicht noch etwas Karten studiere, beobachte ich sie hie und da aus einem Augenwinkel und stelle fest, dass ihr nicht, aber auch gar nichts entgeht, was sich hörbar, oder für mich auch nicht, in oder um die Hütte so alles tut.
Und da tut sich wirklich allerhand. Offenbar aufgeschreckt durch mein Licht, macht sich etwelches Getier - zwar unsichtbar - bemerkbar. Einmal raschelt es im Schilfdach, oder dann huschen eilige Beinchen über die Balken, immer aufmerksam verfolgt von meiner Wächterin.
Also ganz ehrlich, so richtig unbeschwert schläft hier am ersten Abend keiner. Immer wieder schreckt man auf und meint Sachen zu hören, die es gar nicht gibt. Oder dann träumt man von Schlangen und Alligatoren, die einem auch nicht richtig pennen lassen. Dann zündet man halt zwischendurch mal wieder ein Licht an, um zu fahnden, ob auch wirklich alles in Ordnung ist.
Schon in der ersten Nacht fällt mir ein, mich doch nach dem Verhalten der Katze zu richten. Schläft sie nämlich ruhig und zusammengerollt am Fussende des Bettes, kann man wieder die Nacht über einen fallen lassen und ruhig weiterschlafen. Sitzt sie aber aufrecht da und lauscht und blickt in eine Ecke, könnte es sich lohnen, mit einem Stecken bewaffnet nachzuschauen.
Auf meinen Rat hin halten am nächsten Tag auch andere Ausschau nach einem Büsi und machen dieses gemäss meinem Rezept zu ihrem Nachtwächter.
Der indianische Beizen-Häuptling lacht und meint anerkennend, wir seien nicht die Dümmsten!
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