Donnerstag, 11. Dezember 2008

Kreuzfidele Kolkraben auf Rotschalp

Dieser grösste Rabenvogel in der Schweiz ist über den ganzen Brienzergrat hinweg vielfach präsent und auch unüberhörbar. Sein lautstarkes, heiseres Quaken unterstericht seine Präsenz den ganzen Tag über. Schwingt er sich in die Luft, meinen einige laienhafte Bergwanderer, leibhaftige Adler vor sich zu haben, ist doch die Flügelspannweite bis gegen 1,2 Meter recht ansehnlich.

Die Einheimischen rund um den Brienzergrat benamsen diesen Kobold mit "Bergrabb", und in Österreich habe ich einmal lediglich den Namen "Rabb" vernommen.

Im Tannenwald gleich unterhalb der Rotschalp waren und sind sie heute noch recht zahlreich anzutreffen. So hatte ich früher während Mussestunden oft Gelegenheit, die Schlaumeier zu beobachten. Dabei habe ich bald einmal entdeckt, dass sie Futter annahmen, wenn sie einem über den Weg trauten. Zwar frassen sie mir das Brot oder den Käse nicht gerade aus der Hand, holten aber die Brocken sofort, wenn ich diese demstrativ hinschmiss. Dabei gingen sie miteinander nicht gerade zimperlich um, hackten aufeinander ein und versuchten, jeder zuerst an die Mahlzeit zu gelangen.

Diese Grossraben sind aber auch Fleischfresser und sind als leidenschaftliche Nesträuber mehr als berüchtigt. Die Singvögel aus der Gegend können da leider ein trauriges Liedchen darüber singen.

Es war an einem langweiligen Nachmittag vor manchen Jahren während der Hochjagd. Ich hatte mich als Nichtjäger in einer fast neuen und geräumigen Sennhütte eines guten Bekannten eingerichtet. Wie gewohnt war ich wieder einmal auf Wildbeobachtung am Brienzergrat. Gegen Mittag waren noch zwei Hochwildjäger aus Bern heraufgekommen und machten sich ebenfalls in der warmen Stube breit.

Der Himmel war überzogen, und eine steife Brise durchzog die grosse Alpmulde. Ein warmer Pullover und die gut gepolsterte Windjacke erlaubten mir aber einen Pirschgang in der näheren Umgebung. Die Berge und Hügel ringsum waren von Wild wie leer gefegt. Ich konnte im Moment nichts, aber auch gar nichts ausmachen. Dabei malte ich mir schon aus, was flür enttäuschte Gesichter die beiden nicht gerade berggängigen und momentan schlafenden Weidmänner bei ihrem Erwachen machen würden. Nachdem ich mich noch etwas nach oben verzogen hatte, sah ich fast zuoberst am Tannhorn doch noch ein kleines Rudel von Gämsen. Diese waren aber kaum erreichbar und konnten für diesen Abend sicher unangefochten in die Nacht hinein äsen. Und die paar kapitalen Steinböcke oben in der Briefenhorngegend waren eh nicht jagdbar.

Ich weiss nicht mehr, warum plötzlich Erinnerungen in mir einfuhren, wie ich früher als Lausbub Hühner und Hähne meiner bäuerlichen Nachbarn in Wynigen mit von Schnaps getränktem Brot voll laufen liess, mich dabei an den unaufhörlichen Krähereien der Güggel und herumtorkelnden Hennen ergötzend.

Wie dem auch sei, beim ersten Anblick eines Kolkraben nach meiner Rückkehr auf die untere Rotschalp erwachte in mir wieder der Schalk. Rasch waren Brotwürfel geschnitten und die Schnapsflasche aus dem Rucksack geholt. Gottlob hat niemand gesehen, wie viel von diesem kostbaren Nass ich für die Schwarzröcke vergeudet habe.

In einer Blechschüssel, worin man sich sonst die Hände wäscht, verstaute ich die Herrlichkeit und stieg gegen den Wald hinunter. Dabei war ich sicher, von den Raben beobachtet zu werden. Es war zu hoffen, sie würden sich vor lauter Gwunder über kurz oder lang bei dem gedeckten Tisch einfinden.

Oben auf dem Feierabendbänklein vor der Sennhütte setzte ich mich nun hin und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Gämsjäger Robert gesellte sich auch bald einmal an meine Seite und konnte ein Lachen nicht verbergen, als ich ihm die Story erzählte. Ein "Saucheib" sei ich, so schöne Vögel dermassen zu plagen, meinte er, wohl nicht ganz überzeugt von seinen Ausführungen; denn ich hatte im Jahr zuvor gesehen, wie gerade dieser Röbeli seinen Gämsstutzen auf diese jagdbaren Gesellen eingeschossen hatte. Und das war tödlich, während bei meinen "Tierversuchen" höchstens ein gefiederter Kater zurückblieb.

Inzwischen balgten sich rund um das nasse Brot ein gutes Dutzend der gefrässigen Raben und etliche waren noch im Anflug. Von oben sah es aus wie ein sich überschlagender schwarzer Knäuel, quakend und krächzend.

Die Wirkung des hochgradigen Wässerchens liess kaum drei Minuten auf sich warten. Das Geschrei wurde immer lauter, und ihr sonstiges krähenhafte Benehmen enthemmter, mehr und mehr abartig. Einige fingen regelrecht an zu tanzen, sprangen dabei bolzengerade über einen halben Meter in die Luft, ohne die Flügel zu benutzen. Dann gab es solche, die hatten Mühe, überhaupt noch auf ihren zwei Beinen zu stehen und stützten sich mit ihren Schwingen ab. Ganz verwegene Draufgänger schwangen sich sogar empor und führten dort, sich immer wieder in der Luft überschlagend, Kapriolen aus, dass wir Zaungäste uns vor Lachen die Bäuche hielten. Wenn es dem einen oder anderen der Vögel gelang, auf einem Ast der Tannen aufzusetzen, kippte er sogleich hinten- oder vornüber weg und landete wie ein Segler mehr oder weniger sanft im Alpgras.

Die ganze Vogelschar schien aber fröhlich und verspielt, wie wir Menschen ja auch, wenn wir einen draufhaben. Ich hatte denn auch nie das Gefühl, sie wären ob ihrem ungewohnten Zustand verängstigt oder in Panik. Ganz im Gegenteil. Ihr ausgelassener Tanz, ihr überschwängliches Gejohle nach Krähenart sprach für sich.

Einige Frechlinge, die am meisten getränktes Brot intus hatten, fingen langsam an zu schlafen. Schön am Boden, nicht wie gewohnt auf den Bäumen. Die schwächeren, die wenig oder nichts vom Mahl erwischt hatten, fanden sich bald einmal in den Tannen wieder, wetterten über den entgangenen Schmaus oder lamentierten um die Wette, so als ob sie die Neige des Tages beschwören wollten, noch nicht der Nacht zu weichen.

Die Gämsjäger machten sich auch noch auf zum Pirschgang. Dies obwohl ich ihnen beteuert hatte, die Gegend sei frei von jagdbarem Wild. Sie kehren kurz vor dem Einnachten zurück, natürlich ohne Beute, wie vorausgesagt. Der eine konnte sich nicht "verklemmen", mir bissig unter die Nase zu reiben, die Tiere vorher vergrämt zu haben. Dies machte er ganz bewusst, denn er hatte nicht vergessen, dass ich zwar nicht die Jagd an und für sich kritisiere, aber das Jagdgesetz und einige Jäger schon.

Beim ersten Tageslicht am andern Morgen galt meine Sorge natürlich meinen gefiederten Freunden, denen ich doch etwas übel mitgespielt hatte. Doch bei diesen schien die Welt schon wieder in Ordnung zu sein. Diejenigen, die im Gras übernachtet hatten, machten die ersten Flugversuche, und über kurz oder lang waren alle weg, unten im Wald. Aber komisch ruhig war es schon. Das alltägliche Frühkonzert fiel für einmal aus. Da waren offenbar noch zu viele Zwerglein in den Rabenhirnen.

Als ich das leergefressene Wasserbecken zurückholte, musste ich zu meinem Leidwesen feststellen, dass mein ausgelassenes Tun bei den lieben Kerlen doch ein Todesopfer gefordert hatte. Anhand von ausgerissenen Federn und aneren einschlägigen Spuren war unschwer auszumachen, dass ein Fuchs, Baum- oder Steinmarder an der ungewohnt auf dem Boden schlafenden Gemeinde zu einer unverhofften und leichten Mahlzeit gekommen war.














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