Mittwoch, 10. Dezember 2008

Nasse Begegnung mit Wildkatzen

In Europa sind ausschliesslich noch die Eurasischen Wald-Wiltkatzen hemisch, wenn auch sehr selten und fast nicht mehr feststellbar. Sie sind im Durchschnitt schwerer als Haus- oder Rassekatzen und auch nicht deren Vorfahren. Diese stammen aus Nordafrika.

In der Hohen Tatra hae ich bei einem früheren Wildbeobachtungs-Aufenthalt einige dieser Art gesehen, mit tatkräftiger Unterstützung eines einheimischen Forstwarts.

Dann war ich durch Zufall auch dabei, als oberhalb des Brienzersees, wo ich mich bestens auskenne, junge Wildkatzen ausgesetzt wurden.

Es war kutz nach der Schneeschmelze an einem schönen Frühlingstag in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts, als vierzehn jüngere Tiere der Freiheit wiedergegeben  wurden. Sieben stammten aus der Zucht des Berner Tierparks Dählhölzli, die andern sieben sind in der Sowakei für dieses Experiment eingefangen worden. Bei der Freilassung sind die Wildgeborenen wie der Blitz im dichten Tann verschwunden, während die Einheimischen verdutzt in die Sonne blinzelten und richtig verscheucht werden mussten.

Leider habe ich in all den nachfolgenden Jahren keine Spur dieser Katzen ausmachen können, und auch der mir bekannte Wildhüter Hans Fuchs aus Brienz war mehr als erstaunt, keines der immerhin vierzehn Stück je geortet zu haben. Möglicherweise stand das im Zusammenhang mit der Aussage eines Jägers mir gegenüber, er schiesse in dieser Gegend auf jede Katze, die sich im Wald bewege!

Am besten gehalten und mit viel Geduld auch sichtbar haben sich die Wildkatzen bei uns im Waadtländer und Neuenburger Jura.

So bin ich dann auch einmal vor langer Zeit einer Einladung eines ehemaligen Schulkollegen gefolgt, für einige Tage in seinem Hof in Le Brassus einzukehren. Er versicherte mir nämlich, schon vielfach in den frühen Morgenstunden an den Gestaden des Lac de Joux, dort wo die Bewaldung bis ans Ufer reiche, Wildkatzen gesehen zu haben. So bin ich denn fast eine Woche lang in der Dämmerung auf der Lauer gelegen. Nichts, aber auch gar nichts, kam mir dabei unter die Augen. Enttäuscht gab ich bei einem abendlichen Höck der Runde kund, die Übung abzubrechen. Ein zufällig anwesender Jäger konnte mich aber in der Folge überreden, es doch beim neuenburgischen Lac des Brenets zu versuchen. Hinten am Saut du Doubs seien von seinen Kollegen mehr als einmal "Waldschleicher", wie er die Wildkatzen nannte, gesehen worden.

Schon am Tag danach hae ich mich in einem kleinen Gasthof in Les Brenets eingefunden und ein Zimmer bezogen. Beim Mittagessen entdeckte ich als erstes auf einem an der Wand genageltem Brett eine stattliche ausgestopfte Wildkatze. Aha, dachte ich. Woher die stamme, wollte ich von der freundlichen Serviertochter wissen. "Da müsse ich schon den Patron fragen", meinte sie gelassen. Der ist dann auch in der Küchenmontur zum Kaffee gekommen, wurde aber erst bei einem nachfolgenden Halbeli "Neuenburger" so recht gesprächig. "Ah, der da oben", meinte er bedächtig, den habe sein Grossvater selig vor Jahren mit der Flinte erlegt. Die seien ja schädlich und würden Hühner und Junghasen schlagen. Auf meine Bemerkung, diese Katzen seien ja geschützt und würden in der Hauptsache von Mäusen und Vögeln leben, hatte er höchstens ein mittleidiges Lächeln übrig. Wie vor ihm der Jäger sprach auch er eingentlich ungefragt von Beständen hinten am Saut du Doubs. Wohl wegen meiner aufleuchtenden Augen hat er mein Interesse gemerkt und mir geraten, bei einer eventuellen Pirsch aber dann früh aufzustehen. Dabei empfahl er mir auch, sein Fahrrad zu nehmen, weil an ein Herankommen mit einem andern Fahrzeug nicht zu denken sei.

Am andern Morgen war ich schon vor dem ersten Tageslicht auf dem beschriebenen Weg unterwegs. Dort, wo es auch für das Zweirad zu eng wurde, bin ich auf Turnschuhen dem mit Felsen gesäumten Weg und von überhängenden Bäumen bestückten Ufer entlang geschlichen, immer wieder verhoffend und lauschend. Der Tag war inzwischen heraufgekommen und bot mir Gelegenheit, nach einer Tarnung Ausschau zu halten.

Unbeweglich lauernd mag wohl eine Stunde vergangen sein, als ich whrhaftig Laute vernahm, die sich anhörten wie ein heiseres Miauen. Meine Sinne spannten sich und richteten sich aufmerksam in Richtung der fremdtönenden Geräusche.

Die Minuten verstrichen, und meine Nerven taten vor Anstrengung fast weh, als ich auf einem über den See hängenden Ast eine kurze Bewegung wahrnahm. Und dann noch eine.

Ganz behutsam, nach Indianerart, habe ich mich Zentimeter um Zentimeter in Richtung des Geschehens geschlichen. Als endlich der Gesichtswinkel günstig stand, wusste ich, dass mir ein Glückstag beschieden war.

Da tummelten sich wahrhaftig zwei junge Wildkatzen in der Schwebe und spielten mit im Wind flatternden Blättern. Vor lauter Begeisterung habe ich offenbar eine hastige Bewegung gemacht, was die unter dem Baum sitzenden Katzenmutter, die ich vorher gar nicht gesehen hatte, veranlasste, sofort das Weite zu suchen. Komischerweise ohne ihren Nachwuchs zu warnen.

Anstatt weiter zu beobachten, habe ich in meinem damaligen Übermut etwas gemacht, war mir heute fern liegen würde. Mit einem kurzen Sprint näherte ich mich schnell der überhängenden Buche, dies mit dem Ziel, den Jungtieren den Rückweg abzuschneiden. Das näher am Stamm spielende Kätzchen hat mich sofort entdeckt und konnte sich noch rechthzeitig in Sicherheit bringen. Nicht aber das andere. Sich seiner dummen Lage bewusst, zog es sich laut fauchend immer weiter dem Ast entlang, bis es nur noch auf einem zittrigen Stück hängen blieb.

Und dann habe ich mich wahrhaftig dazu verleiten lassen, auch auf den Ast zu klettern. Das hätte ich aber lieber sein lassen sollen, denn die Strafe folgte auf dem Fuss. Mit einem lauten Knall brach der Ast ab und Katze und Mensch plumpsten hoch aufspritzend ins kühle Nass.

Als ich pustend und Wasser speiend wieder auftauchte, konnte ich gerade noch feststellen, wie sich die Kleine schwimmend dem Ufer näherte und gleich darauf im dichten Unterholz verschwand.

Zurück im Gasthof hat sich die ganze Bande vor Lachen den Bauch gehalten, und ich musste mir ach gar so manches anhören. Ich sah ja auch allzu komisch aus in meinen klatschnassen "Hudeln".

Es ist halt schon so: wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Aber mir war ja schliesslich auch recht geschehen.



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