In Sitschenen, etwas oberhalb von Hofstetten bei Brienz, nannte ein guter Bekannter einen bewohnbaren, kleinen Stadel sein eigen. Hie und da bin ich bei meinen Entdeckungen auch hier in diesem Berghäuschen übernachtet. Nicht zuletzt, um beim Einnachten oder bei hellen Nächten den in der Nähe hausenden Dachsen auf die Spur zu kommen.
Die lieben, harmlosen Kobolde waren leider in der Gegend nicht unbedingt beliebt. Allzu oft statteten sie umliegenden Obstgärten und Beerenkulturen ihre Besuche ab, und hinterliessen eindeutige Spuren. Manch erwartungsvolle Frau schüttelte die geballte Faust in Richtung Sitschenen, wenn sie ihren Lieben Erdbeerschnitten versprochen hatte, und dann nur noch kahle Stauden vorfand.
Unten in einer Dorfbeiz erzählte mir ein Bauer, die verdammten Biester wären sogar in seinen Hühnerstall eingebrochen und hätten sämtliche Eier gefressen. Seine Omelette sei deshalb asuch im Eimer gewesen. Aufgeweckt durch ein lauthalses Gackern sei er aufgestanden und habe leider den flüchtenden Graubart zu spät gesehen, sonst hätte er ihm "eins auf den Pelz gebrannt". Ob er denn ein Jagdpatent habe, wollte ich wissen. "Chansch deichen, das bruuche mir hier oben nit", meinte er verschmitzt. Dabei musterten mich seine listigen Äuglein, wie ich diese Kunde wohl aufnehmen würde. Als tröstender Schadenersatz habe ich dann Köbel ein Bier bezahlt, und schon war bei diesem die Welt wieder in Ordnung.
Der Stadelbesitzer hatte mir den Bau der Dachse schon ein Jahr zuvor gezeigt, als wir uns über die Sitschenen-Route auf die Planalp begaben. So wusste ich, dass ganz der Nähe der Behausung dieser Nachttiere ein Heuschober neben einer Hecke stand. Diesen habe ich dann auch als Versteck bei meiner ersten Pirsch benutzt.
Vom Haslital her leuchteten die ersten Lichter in die kommende Nacht, während es bei mir noch einigermassen hell war. Schon seit einer Stunde wei der drolligen Tiere näherten sich dem Schober, immer wieder verhoffend, die Köwartete ich gespannt auf das Erscheinen der Grauschwarzen, schön versteckt zwischen den Lücken der Balken durchspähend.
Da, war da nicht eine Bewegung im fast knietiefen Gras, das kurz vor dem Schnitt stand? Ja, da bewegte sich etwas auf die Hütte zu, und bald einmal konnte ich erkennen, dass sich mein Warten gelohnt hatte. Gleich zwei der drolligen Tiere näherten sich dem Schober, immer wieder verhoffend, die Köpfe in die Luft streckend, dann wieder am Boden schnüffelnd, kamen sie mir entgegen. Gottlob schienen es die beiden nicht eilig zu haben, was mir Gelegenheit bot, sie näher unter die Lupe zu nehmen. Grosse Erfahrung hatte ich mit dieser Gattung nicht, und so musste ich mein Wissen im Hirn zusammenkratzen aus dem, was mir die Fachbücher gegeben hatten. So wusste ich denn auch, von was sie sich ernähren, was ich ja eingangs bereits angetönt habe.
Die beiden trollten sich bis etwa auf zehn Meter vor meinen Unterstand. Anhand der unterschiedlichen Grösse nahm ich an, dass es sich um ein Paar handeln musste. Sicher hatten sie Junge in ihrem Bau, es war ja schon Juni.
Mir fiel sofort ein besonderes Merkmal beim Dachs, dem Vater, auf. Einer der beiden sonst durchgezogenen schwarzen Streifen über den Kopf hintweg war an einer Stelle unterbrochen, was bildlich wie ein ungewohnter weisser Tupfen aussah. Das kam mir sehr gelegen, denn so konnte ich ihn bei einer eventuellen späteren Begegnung einwandfrei identifizieren.
Dachsin und ihr Gemahl schienene es weiterhin nicht eilig zu haben. Offenbar war es ihnen noch zu hell, um die Weidegründe aufzusuchen. Mensch und Hund würden sie schon von weitem daherwatscheln sehen und entsprechend reagieren. "Sicher ist sicher", befahl ihnen ein ausgeprägter Instinkt. Mit den Zwei- und den genannten Vierbeinern hatten die Nachtjäger bislang mehr als schlechte Erfahrungen gemacht. Das mannigfalitg gehandelte Dachsfett in den Apotheken des Berner Oberlandes stammt ja denn auch nicht von Ziegen oder Sauen.
Interessanterweise hielten sich die beiden keine Sekunde still bei ihrem Nahrungsaufschub. Immer waren sie in Bewegung. Wenn es nicht vor- oder rückwärts ging, drehten sie sich einfach um die eigene Achse und grunzten dabei wir Ferkel.
Als ich sie in der Dunkelheit fast nicht mehr ausmachen konnte, begaben sie sich doch noch bergabwärts und entschwanden meinem Blickfeld in die undruchdringliche Nacht.
Mit Blitzlicht hätte ich wohl Aufnahmen machen können. Aber das ungewollte Hell hätte sie wohl dermassen vergrämt, dass sie den Heuschober in nächster Zeit nicht mehr beehrt hätten.
Es war dann im Herbst des gleichen Jahres, Ende September oder anfangs Oktober. Wie schon oft hatte ich die Nacht im Hotel Rothorn Kulm verbracht und machte mich eines Morgens beizeiten auf die Socken. Am Vorabend hatte ich entdeckt, dass sie unten gegen die Gibelegg ein grösseres Rudel von recht imposant aufgesetzten Steinböcken aufhielt. Ich entschloss mich deshalb, beim Abstieg diese für mich ungewohnte Route zu nehmen.
Ein schmaler, ausgetretener Pfad führte mich hinunter, und bald einmal befand ich mich oberhalb der äsenden Gruppe. Irgendwie schien meine Gegenwart den Gehörnten nicht in den Kram zu passen, oder ich war ihnen zu nahe getreten. Sei es wie es wolle, nach einem satten Warnpfiff des Aufpassers verschwanden sie hinter einer kleinen abfallen Krete.
Weil unten auf der Planalp eine Gruppe von Tierfreunden wegen einer Führung auf mich wartete, ging ich den Entschwundenen nicht mehr nach und begab mich weiter abwärts. Schliesslich wollten wir noch gleichentags ins Salibühl, um dort in einer Hütte zu übernachten.
Plötzlich stockte mir der Atem. Beim Umgehen einer kleinen Legföhre wäre ich beinahe auf einen Dachs getreten, der regungslos da lag. Ein vermoderter, unangenehmer Leichengeruch und ein Schwarm von Schmeissfliegen belehrten mich, dass der Graubart seine Seele schon vor einiger Zeit ausgehaucht hatte.
Bei näherer Betrachtung des Verblichenen zog es mir die Kehle noch einmal zu. Das war nämlich nicht irgend ein Dachs, sondern ganz klar mein Dachs aus Sitschenen. Die Lücke im schwarzen Gesichtsstreifen war unverkennbar. Zwei winzig kleine blutverschmierten Ein- und Ausschusslöcher führten mir unzweifelhaft vor Augen, wie er zu Tode gekommen war. Himmel, man schiesst doch nicht mit einer Kleinkaliberwaffe auf ein so zähes Tier! In mir stieg eine furchtbare Wut auf, und ich konnte nur noch den Kopf schütteln.
Übergrosse Schmerzen und peinigende Angst haben den Angeschossenen wohl veranlasst, immer höher den Berg hinauf zu klettern. Anders konnte ich es mir nicht vorstellen, warum er den Weg bis immerhin über die Waldgrenze hinaus unter die kleinen Füsse genommen hatte.
Schemenhafrt sah ich plötzlich ein bärtiges Gesicht in einer verrauchten Gaststube, aus dessen Mund es mir wie ein Echo entgegen tönte: "Sonst hätte ich ihm eins auf den Pelz gebrannt ........."
1 Kommentar:
Wir haben heute zum ersten mal Spuren vom Dachs auf einem Waldweg gesehen. Der Größe nach ein respekteinflößendes Tier!
Viele Grüße aus dem Spessart,
Rosemarie
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